AO: BFH vom 22.11.2011 (Az. VII R 63/10)

Ein wesentlich beteiligter Gesellschafter haftet für Steuerschulden der Gesellschaft, soweit dieser der Gesellschaft Gegenstände überlassen hat. Die Haftung setzt sich an dem Surrogat des Gegenstandes fort, wenn dieser vor Haftungsinanspruchnahme veräußert wurde.

Gem. § 74 AO haftet ein an einem Unternehmen wesentlich beteiligter Gesellschafter mit den Gegenständen, die er diesem Unternehmen überlassen hat, für dessen Steuerschulden. Eine wesentliche Beteiligung liegt in diesem Sinne vor, wenn der Gesellschafter zu mehr als 25% am Kapital beteiligt ist oder alternativ einen beherrschenden Einfluss ausübt und durch sein Verhalten dazu beiträgt, die fälligen Steuerschulden nicht zu bezahlen. Laut Gesetzeswortlaut besteht die Haftung nur für Steuerschulden, die während der wesentlichen Beteiligung entstanden sind.

Ein typischer Anwendungsfall ist die Betriebsaufspaltung, bei welcher das Besitzunternehmen wesentliche Betriebsgrundlagen dem Betriebsunternehmen überlässt. Aber auch ein Gesellschafter, welcher Gegenstände an seine Personengesellschaft überlässt, ist hiervon betroffen.

Das Finanzgericht Nürnberg (Urteil vom 31.05.2005, Az. II 143/2002, so auch das Niedersächsische Finanzgericht im Urteil vom 24.09.1980, Az. VI 264/77) hielt eine Haftung auch dann für möglich, wenn zum Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme die Gegenstände bereits aus dem Eigentum des Gesellschafters ausgeschieden seien.

Eine andere Auffassung vertrat das Finanzgericht Münster (Urteil vom 02.09.2010, Az. 5 K 4110/08 U und 5 K 4112/08 U, so auch bereits Finanzgericht Köln, Urteil vom 17.09.1997, Az. 6 K 5459/91). Hiernach sei eine Haftungsinanspruchnahme nur möglich, wenn sich zu diesem Zeitpunkt die Gegenstände noch im zivilrechtlichen Eigentum des Gesellschafters befinden. Maßgeblich bei Grundstücken sei hierbei nicht der Kaufvertrag, sondern die Eintragung des Eigentums in das Grundbuch. Erfolge die Veräußerung bereits vor der Haftungsinanspruchnahme, so könne der Fiskus nicht auf den Veräußerungserlös zugreifen.

In der zugelassenen Revision teilte der BFH die Auffassung des Finanzgerichtes Münster nicht. Der VII. Senat befand mit seinem Urteil vom 22.11.2011 (Az. VII R 63/10), dass sich bei einer Veräußerung des Gegenstandes vor Erlass des Haftungsbescheids die Haftung an der Gegenleistung fortsetzt. Die vom Finanzgericht Münster vorgenommene strikt wortgetreue Anwendung des § 74 AO stehe mit dem Sinn und Zweck der Regelung nicht im Einklang, da ansonsten ein gleichmäßiger Vollzug der Haftungsnorm nicht zu gewährleisten sei.

Der BFH ließ die Frage offen, ob die Rückführung eines für den Erwerb des Gegenstandes aufgenommenen Darlehens aus dem Veräußerungserlös die Haftungssumme verringern würde.

Berlin, den 08.02.2012
Schwarz, Steuerberater