EStG/GewStG: FG Nürnberg vom 11.12.2008 (Az. 4 K 1394/2007), BFH vom 18.05.2010 (Az. X R 11/09)

Ertragsteuern auf Tätigkeit des Insolvenzschuldners, die ohne Wissen und Billigung durch den Insolvenzverwalter ausgeübt wird und deren Erträge nicht zur Masse gelangt sind, sind keine Masseverbindlichkeiten.

Im Streitfall hatte der Insolvenzschuldner auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens strafbare Handlungen begangen, indem er Gegenstände die zur Masse gehörten, an Dritte veräußerte, beiseite schaffte oder verheimlichte. Die Erträge aus seiner  selbstständigen Tätigkeit verschleierte er durch die Einschaltung spanischer Firmen. Das Finanzamt setzte daraufhin die daraus resultierende Einkommensteuer gegen die Insolvenzmasse fest. Hiergegen wehrte sich der Insolvenzverwalter mit Klage vor dem Finanzgericht Nürnberg.

Das Finanzgericht Nürnberg gab der Klage statt. Es stellte fest, dass

  • die auf Einkünfte des Insolvenzschuldners aus gewerblicher Tätigkeit entfallenden Ertragsteuern keine "in anderer Weise" durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründete Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind, da der Insolvenzschuldner die Tätigkeit ohne Wissen und Billigung durch den Insolvenzverwalter ausgeübt hat und die Erträge tatsächlich nicht zur Masse gelangt sind. Eine Masseverbindlichkeit läge auch deshalb nicht vor, weil nicht nachgewiesen sei, dass der Insolvenzschuldner die Insolvenzmasse Ertrag bringend nutzt;
  • es sich bei der Ertragsteuer nicht um Masseverbindlichkeiten gem. § 35 InsO 2001 handeln würde. § 35 InsO definiere nur den Umfang der Insolvenzmasse, nicht aber, welche Verbindlichkeiten von der Masse zu tragen seien. Unter Neuerwerb sei daher nur das neu erworbene Nettovermögen, also das Aktivvermögen nach Abzug der Neuverbindlichkeiten, zu verstehen.


Das Urteil ist auch in der ZInsO 2009, 488 abgedruckt. Die Revision ist beim BFH unter dem Aktenzeichen X R 11/09 anhängig.

Berlin, den 16.03.2009
Schwarz, Steuerberater

 
Update:
Die Rechtsausführungen des Finanzgerichts Nürnberg wurden durch den BFH mit Urteil vom 18.05.2010 (Az. X R 11/09) bestätigt. Auch der BFH vertritt die Auffassung, dass keine in anderer Weise begründeten Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) vorliegen, da die Tätigkeit ohne Wissen und Billigung ausgeübt wurde und keine Erträge zur Masse gelangt sind: "Unter in anderer Weise begründeten Verbindlichkeiten fallen Unterlassungen des Insolvenzverwalters, wenn eine Amtspflicht zum Tätigwerden bestand [...…] Selbst im Fall der (wissentlichen) Duldung der Geschäftsführertätigkeit durch den Insolvenzverwalter ist das Tatbestandsmerkmal des Verwaltens der Insolvenzmasse nicht erfüllt (BFH-Urteil vom 21. Juli 2009 VII R 49/08…)."

Auch über § 35 InsO sei keine Masseverbindlichkeit begründet worden. Der Senat könne offen lassen, ob nur der Nettoerwerb Neuerwerb darstellen würde. Erforderlich sei immer, dass die Masse tatsächlich vermehrt worden ist, was im Streitfall nicht geschehen sei. Ohnehin definiere § 35 InsO nur den Begriff der Insolvenzmasse, ob eine Verbindlichkeit eine Masseverbindlichkeit darstelle, beurteile sich nur nach § 55 InsO. Diese Rechtsauffassung würde auch durch die mit Wirkung zum 1.07.2007 und daher im Streitfall noch nicht geltenden (korrigierenden) Neuregelung des § 35 Abs. 2 und 3 InsO bestätigt werden: Hieraus sei ersichtlich, dass der Insolvenzverwalter bei der Frage der Zuordnung des Neuerwerbs seine Zustimmung zu erteilen habe. Auch bisher sei schon die Auffassung vertreten worden, dass der Schuldner dem Insolvenzverwalter und den Gläubigern nicht lästigen Neuerwerb aufdrängen könne. Die Neuregelung ließe erkennen, dass auch der Gesetzgeber davon ausgehe, dass der Insolvenzverwalter nicht verpflichtet sein kann, Erträge zu versteuern, die er nicht erhalten hat.

Berlin, den 12.10.2010
Schwarz, Steuerberater