EStG: Sind Einkommensteuerguthaben aufrechenbar mit Insolvenzverbindlichkeiten?

Finanzämter gehen vermehrt dazu über, Einkommensteuerguthaben, die während des Insolvenzverfahrens entstehen, auf die Insolvenzmasse und das insolvenzfreie Vermögen aufzuteilen und - soweit auf den Pfändungsfreibetrag entfallend - mit Insolvenzverbindlichkeitten aufzurechnen.

Mir sind inzwischen mehrere Fälle bekannt geworden, bei welchen die Finanzämter ein Einkommensteuerguthaben auf die Insolvenzmasse und das insolvenzfreie Vermögen aufteilen. Soweit das Guthaben auf das insolvenzfreie Vermögen entfällt, wird es mit steuerlichen Insolvenzverbindlichkeiten aufgerechnet. Diese Vorgehensweise habe ich bisher nur im Zusammenhang mit sächsischen Finanzämtern erlebt.

Beispielfall: Das Insolvenzverfahren wurde bereits in 2006 eröffnet. Für das Jahr 2007 beträgt die auf den Insolvenzschuldner entfallende festzusetzende Einkommensteuer 1.516 EUR. Durch die Anrechnung von Lohnsteuer (1.964 EUR) entsteht ein Guthaben in Höhe von 448 EUR. Das Nettogehalt beträgt 997,80 EUR monatlich. Das Finanzamt setzt diesen Betrag in Bezug zu der Pfändungsfreigrenze von 990 EUR. Daraus schlussfolgert es, dass 0,78% der festzusetzenden Einkommensteuer und anrechenbaren Lohnsteuer auf die Insolvenzmasse entfallen, also im Saldo ein Guthaben in Höhe von 3,49 EUR, welches an die Insolvenzmasse ausgezahlt wird. Den Restbetrag von 444,51 EUR verrechnet das Finanzamt mit steuerlichen Insolvenzverbindlichkeiten.

Diese Rechtsauffassung ist m. E. nicht haltbar:

    • Die Berechnung in Form einer proportionalen Aufteilung führt ganz offensichtlich zu falschen Ergebnissen, da pfändungsfrei die „ersten“ 990 EUR sind. Die Lohnsteuer entfällt also im Wesentlichen auf Einkommen oberhalb der Pfändungsfreigrenze und somit auch nach Lesart des Finanzamtes auf die Insolvenzmasse.

     

    • Einkommensteuererstattungen gehören nicht zum Arbeitseinkommen i. S. der §§ 850 ff. ZPO und unterliegen daher nicht den Pfändungsschutzregelungen (vgl. BFH vom 26.09.1995, Az. VII B 117/95, BFH vom 19.01.2006, Az. VII S 4/06 PKH, LG Krefeld vom 08.08.2007, Az. 6-T-65/07). Infolgedessen steht der gesamte Erstattungsanspruch – soweit nach Insolvenzeröffnung begründet – der Insolvenzmasse zu (vgl. z. B. BGH vom 12.01.2006, Az. IX ZB 239/04). Diese Lösung ist auch systemgerecht, denn die Lohnsteuer wird keinesfalls aus insolvenzfreiem Vermögen bezahlt, da gemäß § 850e Nr. 1 ZPO steuer- und sozialrechtliche Abzüge bei der Berechnung des Arbeitseinkommens nicht mitgerechnet werden. Anderenfalls müsste bereits bei der Berechnung des pfändbaren Betrages der auf den unpfändbaren Teil des Arbeitseinkommens entfallende Lohnsteueranteil vom Auszahlungsbetrag an den Arbeitnehmer einbehalten werden, was jedoch nicht zulässig ist (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 27. Auflage, § 850e, Rn 1b). Wird jedoch die Lohnsteuer nicht aus dem insolvenzfreien Vermögen entrichtet, kann auch keine Erstattung (ggf. durch Verrechnung mit Insolvenzverbindlichkeiten) an das insolvenzfreie Vermögen erfolgen.

     

      Eine Verrechnung des Einkommensteuerguthabens mit steuerlichen Insolvenzverbindlichkeiten ist daher gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig.

      Die Aufteilung und Verrechnung ist nicht Bestandteil des Einkommensteuerbescheides. Um hiergegen vorgehen zu können, muss daher der Insolvenzverwalter einen Abrechnungsbescheid beantragen, gegen welchen mit Einspruch und in der Folge mit Klage vor dem Finanzgericht vorgegangen werden kann.

      Laut Auskunft eines Finanzamtes sind wohl inzwischen einige derartige Fälle vor dem Sächsischen Finanzgericht Leipzig anhängig; genannt wurden mir die Aktenzeichen 1 K 604/08, 4 K 49/09, 4 K 61/09, 4 K 2190/08 und 8 K 460/08. Erfahrungsgemäß wird daher vorgeschlagen, das Einspruchsverfahren gem. § 363 Abs. 2 S. 1 AO ruhen zu lassen. Ein Urteil in einem dieser „Musterverfahren“ ist für keine Seite bindend, die Zustimmung zur Verfahrensruhe kann vom Insolvenzverwalter jederzeit widerrufen werden.

      23.06.2009 Ullrich Schwarz, Steuerberater

      Update: Siehe Finanzgericht Rheinland-Pfalz vom 02.07.2009, Az. 4 K 2514/06

      Update: Siehe Sächsisches Finanzgericht vom 08.12.2009, Az. 1 K 604/08: Die Einkommensteuererstattung steht im vollem Umfang der Insolvenzmasse zu, auch soweit diese rechnerisch auf den pfändungsfreien Betrag entfällt.

      Update: Siehe BFH vom 29.01.2010, Az. VII B 188/09.